Die neue und erweiterte Version meines Artikels
"Kurzer Prozess - Arbeit mit dem Familienbrett"
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von Elke Sengmüller

Das Familienbrett wurde 1978 von Kurt Ludewig entworfen. Es wurde auf das Ziel hin konzipiert, systemorientierten Praktikern und Forschern der Familientherapie und -theorie ein Hilfsmittel zur Verfügung zu stellen, mit dem sich die Vielfalt der familiären Prozesse auf eine leicht mittelbare Beschreibungsform sinnvoll reduzieren läßt. Kurt Ludewig beschreibt das folgendermaßen:

"Das Familienbrett ist ein Kommunikationsmittel - gewissermaßen eine
Sprache - und dient der Metakommunikation vorallem über Beziehungen. Es entspricht den bildhaft dargestellten Antworten des zirkulären Fragens: Familienkonstellationen können von den Beteiligten - Therapeuten und Kunden - analog zum Schach - auf einem Brett variiert werden. Die Brettdarstellungen werden als spontane Beschreibung aufgefaßt, die dann kommunikativ brauchbar sind, wenn sie koordiniertes Handeln auf der Basis nützlicher, das heißt weiterführender Erklärung bewirken."

Die Arbeit mit dem Familienbrett und den Familienbrettfiguren ist daher keine eigene therapeutische Methode, sondern ein Hilfsmittel, das vielfältig und auch in verschiedenen Therapiemethoden einsetzbar ist. Von einem systemisch denkenden Menschen konzipiert, kommt es natürlich in erster Linie den systemisch denkenden Therapeuten und Beratern entgegen. Hat man sich damit erst einmal vertraut gemacht und Gefallen daran gefunden und erlaubt man sich auch noch die Lust am Spielerischen, ist es bei vielem, was man therapeutisch beherrscht, als Unterstützung anzuwenden.

Bei meinen ersten therapeutischen Schritten in Richtung größerer Systeme - zwei Personen waren da schon eine Herausforderung - habe ich zusammen mit einer Kollegin schon so etwas Ähnliches wie FB-Arbeit betrieben. Wir wollten uns Übersicht über Familiensysteme verschaffen und ließen die Klienten ihre Familien mit Hilfe eines zufällig vorhandenen Szenokastens aufstellen - auch das war schon recht hilfreich. Die sehr differenzierten Figuren dieses Kastens regten aber zu sehr zu allen möglichen Deutungen an - was wohl im Sinne des Erfinders war, nicht aber brauchbar für systemisch denkende Beraterinnen.


1. Die Familienbrettfiguren.

Ludewig verwendet große und kleine, runde=weibliche und eckige=männliche Figuren mit aufgezeichnetem Gesicht. Von oben betrachtet, entsprechen sie etwa den Zeichen für die graphische Darstellung von Familiensystemen (Genogramm):
- männlich, groß
- männlich, klein
- weiblich, groß
- weiblich, klein
- Blickrichtung
- Experten: Figuren mit achteckigem Grundriss (z.B. Arzt, Therapeut, Lehrer)

Diese Art der Figuren ist schon recht gut brauchbar und abstrakter als z.B. die Figuren des Szenokastens. Viel Möglichkeiten, die man in der therapeutischen Arbeit mit Figuren hat - z.B. Wie mächtig erlebe ich ein
Familienmitglied? - können damit nur beschränkt dargestellt werden. Beim Ludewig´schen Brett gibt auch die sog. Experten, die grau, weiß und braun angemalt sind - was vermutlich für Forschungsarbeiten in der Klinik nötig war, die ich aber bei der Arbeit in der Praxis nicht brauche.

Ich verwende daher lieber Holzfiguren aus dem Bastelgeschäft, die es bei uns vorallem vor Weihnachten (für die Herstellung von Krippenfiguren und Engel) gibt. Man bekommt sie in verschiedenen Größen und sie haben so etwas Ähnliches wie einen Kopf. Vorallem aber sind sie angenehm anzugreifen.

Wenn Sie wollen, können Sie aber alle anderen, Ihnen vertrauten Figuren verwenden, wie z.B. alle Arten von Spielfiguren, Holzklötzchen, Lego, Playmobil u.s.w., Sehr gut geeignet sind auch Knöpfe . Diese sind in den meisten Haushalten vorhanden und Klienten können den aufgestellten Personen eine eigene Bedeutung geben, wenn sie wollen.

Als ich einmal mit einer Familie an deren Frühstückstisch arbeitete, und keine speziellen Figuren vorhanden waren, wurde alles verwendet, was so am Tisch herumstand. Interessantes Detail: die Mutter wurde durch die Zuckerdose dargestellt.


2. Das Brett

Ludewig hat zu den Figuren ein eigenes Brett entworfen. Es handelt sich
um eine Holztafel von 50 cm im Quadrat. In 5 cm Entfernung vom äußeren Rand ist rundherum eine quadratische Begrenzungslinie eingezeichnet. Figuren, die außerhalb dieser Begrenzug gestellt werden, sind körperlich oder emotional weit entfernt oder verstorben.

Ich verwende das Brett nur zu Demonstrationszwecken, nicht aber bei der therapeutischen Arbeit. Wenn ich mit Klienten mit dem FB arbeiten will, ist mir ein Tisch lieber. Praktisch ist es, wenn es sich um einen niedrigen Tisch handelt, auf den man von oben draufschauen kann, um eine gute Übersicht zu bekommen.


3. Wie mache ich das FB den Klienten schmackhaft?

Da ich selbst gerne und überzeugt mit dem FB arbeite, ist es kein Problem, die Klienten zu motivieren. Viel wissen, daß ich das FB verwende und erwarten die Arbeit damit sowieso. Anderen ist es unbekannt und ich beginne gleich in der ersten Sitzung damit zu arbeiten: während ich den Behälter mit den Figuren auf den Tisch stelle, sage ich, daß die Aufstellung des Familiensystems und die Arbeit damit zu meinen therapeutischen Methoden gehört (mitunter rede ich davon schon im Vorgespräch, wenn es notwendig ist, genauer über meine Therapiemethoden zu sprechen). Die Klienten schauen sich die Figuren an und und nehmen sie meist gleich in die Hand - sie "begreifen" schnell. Ich schlage ihnen vor, ihr System (je nach Ziel der Therapie: Herkunftsfamilie, aktuelles Familiensystem oder Arbeitskontext) aufzustellen, wobei Entfernung der Figuren voneinander Beziehung heißt - je enger die Figuren beisammen stehen, desto enger ist die Beziehung und die Größe der Figuren ausdrücken soll, wie mächtig, wichtig oder bedeutsam für sein Leben jemand die jeweiligen Mitglieder dieses Systems erlebt (hat). Zu Beginn der Aufstellungsarbeit schlage ich vor, daß der Klient SICH SELBST mit seinem Familiensystem aufstellen soll.


4. Kann jemand nicht aufstellen?

Die meisten Menschen können damit gleich etwas anfangen und beginnen ohne Zögern mit dem Aufstellen. Schwierig ist es für Menschen mit depressiver Struktur, die mitunter nur sich selbst hinstellen können. Wenn man mit diesen Klienten unbedingt mit dem Familienbrett arbeiten möchte, kann man die einzelnen Persönlichkeitsanteil aufstellen lassen. wie z.B. die Traurigkeit, die Wut, die Freude u.s.w. Sehr differenzierte Menschen können oft auch nicht sofort mit der Aufstellungsarbeit beginnen, da sie noch eine weitere Dimension brauchen würden, um die Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander miteinzubeziehen. In einem solchen Fall schlage ich vor, nur sich selbst zu den Einzelnen in Beziehung zu setzen. Kinder tun sich meist sehr leicht beim Aufstellen und haben Spass daran, ich verwende da aber lieber die Ludewig´schen Figuren, weil Kinder meist für die Erwachsenen große und für die Kinder die kleinen Figuren nehmen und ihnen die aufgemalten Gesichter wichtig sind. Von der Allgemeinbildung oder Schulbildung ist es nicht abhängig, ob jemand die Figuren benützen kann oder nicht, wohl aber, wie gut jemand imaginieren kann.


5
. Welche Methoden der Systemischen Therapie werden angewendet?

Im Prinzip werden dabei zwei Techniken (Ideen) der systemischen Therapie
verwendet:
5.1. Zirkularität und zirkuläres Fragen
5.2. Erfahrbarmachung über andere Wahrnehmungskanäle = Trance

Natürlich können viele andere beraterische Fähigkeiten und Methoden
während der Arbeit mit dem FB angewendet werden und es sind dabei Ihrer
Kreativität keine Grenzen gesetzt!

5.1. Zur Zirkularität

Mit zirkulären Fragen versucht der Therapeut/Berater, für den Prozeß
wichtige Wechselwirkungen im Beziehungssystem sichtbar zu machen und
einen Suchprozeß einzuleiten. Die Fragen sollen so gestellt sein, daß
Unterschiede abgebildet werden. Information ist ja das Erzeugen von
Unterschieden in miteinander in Beziehung stehender Phänomene. Deshalb
enthalten die zirkulären Fragen oft Worte wie: besser - schlechter, mehr
- weniger, näher - entfernter u.s.w. Und es ist hilfreich, wenn mindest
die Wechselwirkung zwischen zwei, besser aber von mehreren Personen
abgebildet wird.

Jede Frage, die der Therapeut/Berater stellt, entsteht aus einer
Hypothese des Therapeuten/Beraters oder des Klienten. Die Beantwortung
der Frage gibt ein "feedback" und die Möglichkeit zur Weiterentwicklung
der Hypothese und ist somit Ausgangspunkt der nächste Frage. Auf diese
Weise konstruieren Klient und Therapeut gemeinsam eine neue
Wirklichkeit. Ein autonomer Prozeß der Informationserzeugung wird
angeregt und ermöglicht ein neues Verständnis des Interaktionssystemes -
neue Lösungen können entwickelt werden.

Welche Bereiche auf der Ebene der Interaktion können dabei abgefragt
werden?
- Koalitionsanordnungen in Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft
- Sequenzabfolgen im Verhalten, Denken, Fühlen
- Grenzbildungen nach innen und außen
- Umgang miteinander: symmetrisch, komplementär.
Zirkuläre Fragen beziehen sich dabei auf den Auftrag und die damit in
Verbindung stehenden Ziele. Bei der Arbeit mit dem FB ist es genauso
wichtig, vorher eine klare Zieldefinition vorzunehmen wie bei anderen
therapeutischen Arbeiten - Und von dieser Zieldefinition aus entwickelt
er die Fragen.
Für alle Bereiche könnte noch hilfreich sein:
- Klassifikations- und Vergleichsfragen
- Fragen nach Übereinstimmung unterschiedlicher Beteiligter
- Vergleiche der Subsysteme
- Erklärungsfragen
- Fragen nach Auswirkungen auf all diese Bereiche

Um die Komplexität zu reduzieren, muß man sich überlegen, was Information über Lösungsmöglichkeiten und Ressourcen gibt und vor allem, welche Interaktionen eventuell problemstabilisierend sind. Es ist hilfreich, nach den Ausnahmen vom Problem in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu fragen und was der Preis(die Auswirkung) von problemstabilisierenden Mustern ist.

Einige Beispiele für zirkuläre Fragen:
- nach den Beziehungen der Familienmitglieder untereinander (glaubt A
auch, daß B ein Problem hat?)
- Wie sehen andere Familienmitglieder eine Beziehung (Glaubt A, daß B
und C miteinander ein Problem haben?)
- Was hat, wird oder könnte sich verändern?
- Was soll auf jeden Fall gleich bleiben?
- Unterschiede zwischen jetziger Familie und der Herkunftsfamilie
- Skalierungsfragen: durch skalieren ist es möglich, abstrakte Begriffe
faßbar zu machen; man erfährt als Th., daß etwas besser/schlechter
geworden ist oder werden kann, ohne genau verstehen zu müssen, was der
Begriff selbst für den Klienten heißt.


5.2. Erfahrbarmachung über andere Wahrnehmungskanäle - Trance

Mit Hilfe der zirkulären Fragen begeben sich Klient und Therapeut/Berater miteinander in einen Suchprozeß. Es wird darüber gesprochen
- was der Klient in der Therapie erreichen will
- wie er sich nach Erreichung des Zieles sieht
- wie ihn die anderen sehen, erleben
- wie er selbst und andere die Veränderungen sehen, erleben, hören,
fühlen u.s.w.

Vielfach werden diese Gespräche als kopflastig erlebt, es wird nur eine
Gehirnhälfte angesprochen. Daher wurden sowohl in der Systemischen
Therapie als auch in anderen Therapierichtungen Methoden entwickelt, den
Menschen ganzheitlich anzusprechen und mit ihm auch über andere
Wahrnehmungskanäle zu kommunizieren und neben dem Hören das Sehen und Fühlen zu aktivieren und zu benützen:
- Skulpturen, Familienaufstellungen
- künstlerische Therapierichtungen: Musik, Malerei
- körperorientierte Therapien
- Entspannungstechniken, Hypnose, Trance

Sehr oft gehen Klienten und/oder Therapeuten während einer Therapiesitzung ganz von selbst in Trance, ohne daß eine bewußte Induktion über Hypnose erfolgt wäre. Man merkt es am ehesten daran, daß
das Zeitgefühl abhanden gekommen ist. In einer Trance sein heißt, daß
die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes inneres Bild, Erleben, Gefühl fokussiert wird. Man kann bewußt oder unbewußt, mit fremder Hilfe oder
ganz von selbst in eine Trance gehen. Und in der Trance ist es dann
möglich, den Klienten ohne große Umwege über Einsicht und Verständnis seinen Lösungsbildern und Resourcen näherzubringen.

Bei der Arbeit mit dem FB gehen Klienten und Therapeuten fast immer in
eine Trance. Die Bilder und Vorstellungen, die man beim Reden
entwickelt, werden durch die FB-Figuren sichtbar, die Aufmerksamkeit,
der Blick wendet sich vom Gesicht des Therapeuten oder einem Punkt im
Raum direkt auf das System/Problem/Lösung. Und was dabei so praktisch
ist:
- man kann Veränderungen ausprobieren
- man kann in Vergangenheit oder Zukunft schauen
- Externalisierungen sind möglich
und vieles mehr.
Die sogenannten "tieferen Schichten" können leichter angesprochen
werden, durch eine entspannte Haltung kommen unvermutet Erinnerungen.
Vermutlich befinden sich Klienten auch in anderen Therapien in Trance,
ohne daß es beachtet oder genützt wird. Vielleicht nutzen Klienten diese
Trancezustände auch für sich selbst zur Lösung ihrer Probleme. Wichtig
dabei ist vorallem, daß der Rapport stimmt, das heißt daß sich Klient
und Therapeut miteinander wohlfühlen und eine Atmosphäre des Vertrauens
herrscht - dann ist Loslassen möglich.



6. In welchem Setting kann man das FB anwenden?

Einzelpersonen:
vorallem bei einzelnen Klienten ist die Anwendung des FB sehr hilfreich.
Man kann zu Beginn einer Therapie das Familiensystem - Herkunftsfamilie
oder aktuelle Familie, je nach Fragestellung - aufstellen lassen, um die
Übersicht über das System zu bekommen. Und im Laufe der
Beratung/Therapie ist es bei den verschiedenen Zielen, die erreicht
werden sollen, immer wieder einsetzbar (siehe "Ziele").

Zu den wichtigen Methoden der Systemischen Therapie gehört heute auch
die Aufstellungsarbeit mit Personen in der Gruppe (Hellinger, Varga von
Kibed). Man kann damit sehr viel erreichen und im Wesenlichen wird auch
hier mit zirkulären Fragen und Trance gearbeitet. Bei der Arbeit mit
Einzelpersonen, Paaren oder Familien kann die nicht vorhandene Gruppe
durch Figuren ersetzt werden. Das hat natürlich nicht die gleiche
Wirkung wie eine "lebendige" Gruppe, da die Figuren nicht über ihre
Gefühle Auskunft geben können, Klienten und Therapeuten können sich aber
meist recht gut einfühlen und Auskunft darüber geben, wie es den
Einzelnen in der auf dem Brett aufgestellten Gruppe geht. Und man kann
auch mit den Figuren alle möglichen Rituale durchführen, sie sprechen
lassen oder sie ansprechen. Das Externalisieren von Problemen,
Krankheiten oder personalen Anteilen (Gunther Schmidt) ist ebenso gut
möglich.

Der Vorteil der Figuren ist dabei, daß sie keine eigenen Gefühle äußern
können. Es ist oft bei der Aufstellungsarbeit mit Personen störend, wenn
eigene Gefühle des "Stellvertreters" zu sehr zum Durchbruch kommen und
den Auftrag des Aufstellers damit stören oder das Ergebnis unklar
machen.

Paare:
Bei Paaren, die miteinander in die Beratung/Therapie kommen, wende ich das FB vorallem am Beginn an. Man bekommt die Übersicht über die zwei Familiensysteme und wer aller aus diesen Systemen eine wichtige Rolle für die Beziehung spielt. Man sieht sehr schnell, woher Muster und Gewohnheiten kommen und welche Lerngeschichte die Partner mitbringen.
Ich wende gerne eine Methode, die von M.White beschrieben wurde, in
etwas abgeänderter Form an: ich schlage vor, daß jeweils ein Partner die
Herkunftsfamilie des anderen aufstellt, und zwar so wie er glaubt, dass
es der andere aufstellen würde. Das gibt sehr schnell Einblick, wie die
Familien vom Partner erlebt werden und wie es der andere sieht. Man erfährt auch etwas über das Einfühlungsvermögen der Klienten, über ihre
oft unterschiedlichen Tempi, über unterschiedliches Erleben von Nähe und
Ferne u.s.w.
Sehr hilfreich ist diese Aufstellungsarbeit bei heftig streitenden Paaren, weil man sie damit aus den zermürbenden Streitereien herausholen kann auf eine andere Ebene, wo konstruktive Arbeit möglich ist.

Familien:
Bei Familien stellt sich die Frage, wer aufstellen darf/soll. Ich ziehe es vor, die Aufstellung von einem Kind machen zu lassen, da es für die Eltern meist sehr aufschlußreich ist, wie ihre Kinder die Familie erleben. Bei mehreren Kindern in einer Familie ist es oft gut, wenn entweder das sogenannte Problemkind die Aufstellung vornimmt, oder das Kind, von dem man annimmt, daß es die beste Übersicht über die Familie hat. Eine weitere Möglichkeit wäre es, den Elternteil aufstellen zu lassen, der die grössten Probleme wahrnimmt.

Gruppen:
Ich verwende das FB bei Selbsterfahrungsgruppen ähnlich wie in Aufstellungsgruppen mit Personen (Stellvertretern). Dabei stellt ein
Teilnehmer sein System nach sorgfältiger Klärung des Zieles auf und ich
arbeite mit ihm fast wie in einer Einzeltherapie. Während dieser Arbeit
schauen die anderen Teilnehmer zu und sprechen über ihre Eindrücke oder
Erlebnisse dabei erst am Ende dieser "Einzelarbeit". Regeln für diese
Kommentare werden vorher vereinbart, wie z.B. keine Ratschläge, keine
Wertungen/Abwertungen, Angriffe, und vorallem ehrenvoller Umgang
miteinander u.s.w.
Für einen Durchgang, das heißt für die Arbeit mit einem Teilnehmer
brauche ich etwa 3/4 Stunde. Die anderen Teilnehmer gehen sehr gut mit
und erleben - auch wenn sie garnicht selbst daran arbeiten - Lösungen
für ihre eigenen Probleme.

Supervision:
Für die supervisorische Arbeit ist das Familienbrett ebenfalls gut geeignet:
wenn der Berater selbst schon mit dem Brett gearbeitet hat, kann diese
Aufstellung direkt supervidiert werden. Es ist auch möglich, dass der Berater das System aus seiner Sicht aufstellt. Ich stelle oft selbst Fälle aus meiner Praxis auf, um den Prozess zu reflektieren und um neue Ideen zu bekommen.


7. Worauf sollte man bei der Aufstellung schauen?

Für die weitere therapeutische Arbeit ist es gut, wenn man einiges über die Klienten weiß. Die Art, wie die Familienbrettfiguren aufgestellt werden, gibt über vieles Auskunft, wie z.B.:
- Einfühlungsvermögen
- Genauigkeit, Präzision
- Freude am Spielerischen
- Harmoniebedürfnis
- Tempo
- wie Nähe und Ferne erlebt wird
- ist Veränderung leicht oder schwer möglich
- gibt es Generationengrenzen, Hierarchien, Subsysteme
- fällt es schwer, jemanden unterzubringen
- wer wird sorgfältig plaziert
- wer ist sehr wichtig
Was man beobachten möchte, hängt davon ab, wie man selbst arbeitet und
welches Ziel erreicht werden soll.

Nach Beendigung der Aufstellung durch den Klienten frage ich mich selbst, meist auch den Klienten oder die Gruppe: Was fällt auf? Was ist augenscheinlich? Wie sieht das aus?
Manche Klienten haben dabei ein AHA-Erlebnis, weil allein durch das Aufstellen des System manches klar geworden ist, mitunter sind Lösungen
in Sicht! Wenn ich mit einer Gruppe von Therapeuten/Beratern arbeite, bitte ich diese, nur zu sagen, was sie sehen und nichts zu interpretieren, da
Interpretationen häufig das Bild verändern.

Falls ich Figuren ohne Gesicht verwende, frage ich auch oft noch nach der Blickrichtung der einzelnen Figuren, wenn das während der Aufstellung nicht sowieso klar geworden ist. So bekomme ich weitere hilfreiche Hinweise.

Eine sehr wichtige Frage scheint mir, wenn der Klient mit dem Aufstellen fertig ist, ob es noch jemanden wichtigen gibt. Meist kommt dann noch
die eine oder andere Figur aufs Brett, z.B. Grosseltern, Nachbar, die
dann häufig bei der weiteren Arbeit gute Ressourcen sein können.

Öfters fragen Klienten, ob sie zu ihrer Aufstellungsarbeit sprechen
sollen, ob sie erklären sollen, was sie gerade aufstellen. Ich empfehele
dann , daß sie es so machen sollen, wie sie es für sie angenehm ist.
Öfters erlebe ich, daß Klienten ihre Geschichte mit Hilfe des
Familienbrettes und der Figuren erzählen. Wenn ich das FB in der
Supervision anwende und ein Supervisand einen Fall darstellt, ist es oft
sehr aufschlußreich, wenn er nichts dazu sagt und dann von der Gruppe
Beobachtungen und Eindrücke berichtet werden - was oft schon das Problem
löst.

Zum Ende der Sitzung mit den FB-Figuren fällt mir immer wieder auf, daß
Klienten die Figuren auch selbst wieder wegräumen (Supervisanden lassen
sie stehen!). Ich nehme an dass sich Klienten mit den Figuren mehr
identifizieren als Supervisanden. Deshalb greife ich die Figuren während
der therapeutischen Arbeit nicht an oder bitte um Erlaubnis, wenn ich
eine Figur angreifen oder verschieben will. Auch mit imaginierten
Personen muß man respektvoll umgehen!

Ich mache mir von den Aufstellungen Aufzeichnungen, um später wieder
darauf zurückzukommen oder um Veränderungen zu sehen. Bei Familien oder
größeren Systemen fertige ich noch gesondert ein Genogramm, entweder in
meinen Aufzeichnungen oder auf einem Plakat. Manche Therapeuten
fotografieren die FB-Aufstellungen mit einer Sofortbildkamera.


8. Ziele

Wenn man mit dem Familienbrett arbeitet, ist es notwendig, ein klares
Ziel vor Augen zu haben. Zu Beginn einer Beratung/Therapie ist es
üblich, zusammen mit dem Klienten das Ziel der B/Th, vielleicht auch nur
ein Etappenziel zu erarbeiten. Dieses Ziel bestimmt dann auch die Arbeit
mit dem FB, es ist aber möglich und oft wichtig, für eine einzelne
Sitzung mit dem FB ein eigenes Ziel zu formulieren, das dann aber mit
dem Gesamtziel in Zusammenhang steht. Wenn man z.B. mit einem Paar an
dessen Eheproblematik arbeitet, kann ein Ziel der Arbeit mit dem FB
sein, was die Beiden in ihren Herkunftsfamilien gelernt haben, wie
Partner miteinander umgehen.

Allgemeine Ziele zu Beginn einer B/Th, wobei es vorallem um Einholung
von Information und die Gewinnung der Übersicht geht:

8.1. Übersicht über das (Familien)System bei Einzelnen, Paaren, Familien
gewinnen:
- welche Mitglieder dieses Systems gibt es
- wer ist vielleicht noch wichtig (Verwandte, Aussenstehende)

8.2. Wie stehen die Familienmitglieder zueinander:
- Entfernungen
- wie sind sie aufgestellt
- Blickrichtung der Figuren

8.3. Vernetzungen = Beziehungen der Mitglieder untereinander:
- Nähe und Ferne
- Koalitionen, Subsysteme
- Generationslinie
- Stellung in der Geschwisterreihe
- Hierarchien

8.4. "Aufarbeitung der Vergangenheit":
Wenn Klienten den Wunsch haben, die Vergangenheit "aufzuarbeiten", kann
man als systemisch arbeitender B/Th gut das FB dafür einsetzen.


9. Interventionen mit Hilfe des FB:

Einige Einsatzmöglichkeiten des FB für systemisch denkende B/Th.
Wie im vorigen Punkt ist es notwendig, vor dem Einsatz des FB für eine
spezielle Intervention klar das Ziel zu formulieren!

9.1. Sichtbarmachen von Mustern, erkennen von Gewohnheiten, Eigenheiten.

9.2. Lerngeschichte: Welche Vorbilder gibt es ?
Wem bin ich ähnlich ? - nicht ähnlich ?
Welche Stärken/Schwächen habe ich
mitbekommen ?
Was habe ich in meiner Ursprungsfamilie
geschätzt
oder abgelehnt ?

9.3. "Normalisierung" = Erklärung für ein Problem aus der Familienstruktur finden (Entlastung) ohne Schuldzuschreibung. Ein Verhalten war vielleicht einmal lebensnotwendig, heute ist es vielleicht nur noch eine Gewohnheit. Was man sich angewöhnt hat, kann man sich auch wieder abgewöhnen.

9.4. Ressourcen finden:
- welche Stärken hat ein Familiensystem vermittelt
- woher kommt / kam Hilfe
- wer hat / hatte Verständnis, Akzeptanz
- wer gibt / gab brauchbare Ratschläge
Die Frage nach den Ressourcen verändert oft rückwirkend das Bild der
Familie für den Klienten. Vorallem für jemanden, der seine Herkunftsfamilie als schwierig erlebt hat, ist es oft eine grosse Erleichterung und Entlastung, wenn er erlebt, dass auch diese Familie Stärken vermittelt hat.

9.5. Schutz aufbauen:
Mit dem FB kann sichtbar Schutz aufgebaut werden, damit z.B. ein gefährdetes Kind vor Schaden bewahrt wird.

9.6. Externalisierungen:
Symptome, Krankheiten, Süchte, Ängste, aber auch Probleme und Lösungen
kann man als eigene Figuren aufstellen lassen und dann damit
Veränderungen ausprobieren. Ebenso ist es möglich, verschiedene Anteile
einer Person aufzustellen ("Konferenz der Teile" nach Gunther Schmidt)
oder mit den verschiedenen Körperteilen zu arbeiten.

9.7. Komplexität
reduzieren: wenn zuviele Themen/Personen/Probleme auftauchen und die
Arbeit unübersichtlich wird, kann man Figuren entfernen, erweitern: wenn zuwenig Themen/Personen zur Sprache kommen, ist Erweiterung vorallem durch Externalisierung möglich.

9.8. Die Aufmerksamkeit des Klienten fokussieren:
Klienten, die häufig das Thema wechseln, können durch einen einfachen
"Fingerzeig" auf die entsprechende Figur wieder zum Thema zurückgeführt
werden.

9.9. Entwicklung von Zukunftsbildern:
Veränderung kann nur passieren, wenn man sich vorstellen kann, wie die Zukunft aussehen könnte, was man erreichen will: "Wie könnte es in 1 Jahr aussehen ? Wie soll ihre Zukunft aussehen ?" Mitunter ist es auch hilfreich, sich das schlechteste mögliche Szenario aufzustellen, um zu erkennen, wie wichtig es ist, den Focus auf eine gute Lösung zu richten und den Blick von den Defiziten abzuwenden.

9.10. Reflexion einer B/Th und Kontrolle der Veränderung


10. Schlussbemerkung

Natürlich können diese vorallem systemischen Interventionen auch ohne
Familienbrett angewendet werden - ich mache aber immer wieder die
Erfahrung, dass durch die Arbeit mit dem Brett die Aufmerksamkeit der
Klienten auf das System gerichtet ist. Statt der Person des B/Th rückt
mehr das System mit Problem und Lösung ins Blickfeld.

Die Arbeit mit dem Familienbrett ist keine eigene beraterisch-therapeutische Richtung. Vielmehr ist sie ein gut unterstützendes Hilfsmittel, das nicht nur für systemisch denkende B/Th hilfreich sein kann. Es ist durchaus möglich, manche Interventionen, die man erfolgreich anwendet, für das Brett zu adaptieren. TeilnehmerInnen meiner Workshops kommen immer wieder mit neuen Ideen, was man mit dem Brett alles ausprobieren kann. Menschen, die gerne spielen, haben einen besonders guten Zugang zum Familienbrett.

Ich möchte Ihnen Mut machen, das Familienbrett auszuprobieren und für
Ihre ganz spezielle beraterisch-therapeutische Arbeit zu adaptieren!


Literatur:

Kurt Ludewig, Ulrich Wilken (Hrsg.): Das Familienbrett
Verlag Hogrefe 1999

Karl Tomm: Die Fragen des Beobachters
Verlag Auer, Heidelberg 1994

Kurt Ludewig, Karin Pflieger, Ulrich Wilken und Gabriele Jacobskötter:Entwicklung eines Verfahrens zur Darstellung von
Familienbeziehungen: Das Familienbrett
aus: Familiendynamik 8/83#