"Genogramm + Aufstellungen auf dem Systembrett "

von Elke Sengmüller

Die Erstellung eines Genogramms ist eine sinnvolle Ergänzung zu einer Aufstellung auf dem Systembrett - oder umgekehrt! Ursprünglich habe ich ein einfaches Genogramm verwendet um festzustellen, welche Personen bei der Aufstellung - Brett- oder Personenaufstellung - ausgewählt und aufgestellt werden sollten.

Ein Genogramm ist eine Art Stammbaum und vermittelt die Übersicht über ein soziales System, bei Firmen und Organisationen verwendet man ein Organigramm.

Zu Beginn von Therapie, Beratung, Supervision, Coaching, Meditation bekommt man mit Hilfe des Genogramms vorerst einmal die Übersicht über das in Frage kommende System. Das ist praktisch schon eine Art von Aufstellung. Beim Verfassen dieses Textes ist mir aufgefallen, wie viele Ähnlichkeiten es zu meinenTexten für die Arbeit mit dem Systembrett es gibt:

- Es wird Ordnung in das innere Bild, das KlientInnen von dem System, in welchem sie sich befinden und das bearbeitet werden soll, gebracht. Bei der Brettaufstellungen wird dieses innere Bild mit Figuren dargestellt.

- Bei Brettaufstellungen spielen die Größe der Figuren und deren Entfernung zu einander eine Rolle für die therapeutische Arbeit. Beim Genogramm bekommt man Einblick in die Familienstruktur und kann die jeweilige Lerngeschichte oder die Entstehung von Mustern zurück in die Vergangenheit der Familie verfolgen. Vererbte und erlernte Charakterzüge kommen zu Tage, wie z.B. Aggressionsbereitschaft, Ängstlichkeit, Dominanz. Ähnliche Krankheitsbilder tauchen mitunter in den verschiedenen Generationen auf. Man sieht die jeweiligen hierarchischen Ebenen, wobei auch Vermischungen verdeutlicht werden können. Speziell bei Puzzlefamilien wird allein durch die mühsame Erstellung des Genogramms sichtbar, wie schwierig es ist, sich in einem solchen System auszukennen - vor allem auch für die Kinder!

Wie bei der Arbeit mit dem Systembrett begeben sich KlientIn und TherapeutIn auf eine Metaebene und betrachten das System von außen. Das hat den Vorteil, dass man als TherapeutIn nicht mehr im Blickfeld der KlientInnen steht, sondern dass lediglich das System betrachtet wird und sich das innere Bild ordnen kann und sozusagen neue Gestalt annimmt.

Wie man vorgeht:

Man verwendet einen Bogen Papier am Flipchart oder einfach ein Blatt Papier, das man am Schluss dem Klienten dann auch mitgeben kann. Ein Flipchart in Querformat habe ich noch nicht gefunden, wäre aber praktisch. Ein Genogramm am Whiteboard kann ja auch fotografiert werden. Es sollte auf jeden Fall die Möglichkeit bestehen, in einer weiteren Sitzung daran weiter zu arbeiten.

Bei einem Familiensystem fängt man im unteren Bereich des Blattes mit dem aktuellen System an. Bei einem Organigramm beginnt man eher oben in der Hierarchie. Aktuelles System heisst: Eltern, Geschwister und Stiefgeschwister der KlientInnen. Man beginnt mit der Elterngeneration der Klientin/des Klienten, sollte aber vorher nachfragen, ob es noch andere Beziehungen eines Elternteils, eventuell mit Kindern, gegeben hat oder gibt, sodass man sich den Platz am Blatt einteilen kann. Es scheint mir wichtig, dass alle Beteiligten etwa den gleichen Raum und die gleiche Größe bekommen, damit von Anfang an kein "schiefes" Bild des Systems entsteht, was wiederum zu Deutungen Anlass geben könnte.

Das Familiensystem wird dann von unten nach oben aufgebaut. Nach dem aktuellen System arbeitet man weiter am Eltern-, Grosseltern- und Urgroßelternsytem eines Elternteiles und danach des anderen Elternteiles, soweit halt die Erinnerung reicht. Wenn nötig, können dann noch Partner und Kinder der KlientInnen und eventuell der Geschwister eingezeichnet werden. Ich lasse die KlientInnen wählen, mit welchem Elternteil begonnen werden soll. Dieser Zweig wird dann systematisch aufgebaut und durch Fragestellungen geleitet, die sich auf das Ziel der thapeutischen Arbeit beziehen. Das nenne ich die „Prozessarbeit“ wie bei den Brettaufstellungen.

Im Laufe der Erstellung des Genogramms kann dazu noch vieles anderes eingezeichnet werden:

- Alter, Beruf, Herkunftsort, Wohnort. Die Genauigkeit der Geburts- und Sterbedaten erscheint mir nicht so wichtig.

- Berufstitel oder akademische Grade sind oft wichtig, weil dadurch der soziale Auf- oder Abstieg einer Familie deutlich wird.

- Charaktereigenschaften wie dominant, liebevoll, aggressiv, jammernd........

- Wenn das Erbe eines Hauses, einer Firma oder eines Hofes eine Rolle spielt, kann man auch das anmerken.

- Physische und psychische Erkrankungen, Behinderungen.

- Suizide, Morde, Agressionsbereitschaft, Dominanz.

- Für verschiedene Eigenschaften kann man verschiedene Farben verwenden, sodass Muster, die über Generationen laufen, sichtbar werden.

- Positive oder negative Beziehungen können mit farbigen Verbindungslinien aufgezeigt werden, Abbrüche werden mit Querstrichen in den Verbindungslinien dargestellt.

- Für Familiengeheimnisse verwende ich Fragezeichen.

- Personen, die eine Ressource darstellen könnten, kann man farblich kennzeichnen und hervorheben.

- Man kann auch nach Geschichten oder Anekdoten fragen, die in der Familie erzählt werden, was oft ganz interessante Aufschlüsse gibt, vor allem über frühere Generationen, über die oft nicht viel bekannt ist.


Im Laufe der Erstellung des Genogramms bekommt man sehr vielschichtige Informationen über das Klientensystem und die KlientInnen. Was möglich ist, schreibe oder zeichne ich ins Genogramm ein, es könnte für dien weiteren therapeutischen Prozess wichtig sein.

Das Genogramm steht fast immer am Anfang einer Therapie. Nicht einsetzen kann man es bei einer massiven aktuellen Problematik, da muss zuerst beruhigt werden! In so einem Fall kann man es zu einem späteren Zeitpunkt einsetzen.

Vorerst geht es aber darum, die Übersicht über das System der KleintInnen zu bekommen. Vorher wurde bereits der Auftrag für die therapeutische Arbeit geklärt und ein oder mehrere Ziele vereinbart. Bei der Erstellung des Genogramms bedenkt man immer das Ziel und bezieht dieses bei den Fragestellungen mit ein, wie man es ja auch bei der Aufstellungsarbeit macht. Zum Beispiel wird man bei Beziehungsproblemen sehr genau abfragen, wie die KlientInnen die Beziehungen der Eltern oder Großeltern erlebt haben und wie die Beziehungen der Geschwister untereinander waren. Auf diese Weise kann man schon bei der Genogrammerstellung ganz gezielt mit der therapeutischen Arbeit beginnen.

Häufig tauchen brauchbare Erklärungen aus der Vergangenheit für die aktuellen Probleme der KlientInnen auf, was wiederum sehr entlastend wirken kann. Lern- und Familienmuster kommen oft aus der Vergangenheit und werden unbewusst tradiert und übernommen. Es ist entlastend und erleichternd, das so vor Augen zu bekommen. Dadurch werden mitunter Zusammenhänge klar, die vorher nicht gesehen werden konnten. Da gibt es häufig Ahaerlebnisse, weil eine ganz neue Sicht entstanden ist. „So habe ich das noch nie gesehen!“ habe ich da schon oft von KlientInnen gehört.

Als TherapeutIn kann man auch sagen, was einem auffällt, was sozusagen ins Auge springt. Es ist aber wichtig, da keine Deutungen von sich zu geben, außer man verwendet das Genogramm für eine andere Therapieform. Wenn man systemisch arbeitet, kommt man ohne Deutungen aus, man kann aber Zusammenhänge sichtbar machen.

Am Ende der Genogrammerstellung mache ich den Vorschlag, für jeden Teil des Familiensystems - für jeweils Mutter- und Vaterzweig - einen Titel oder eine Überschrift zu finden, was noch einmal einen Denkprozess über das innere Bild in Gang bringt. Wenn die Atmosphäre locker ist, frage ich mitunter, welcher Titel über einem Artikel über die Familie in der Zeitung stehen würde.

Ganz zum Schluss erarbeite ich mit der KlientIn noch die positiven Charakteranteil und Eigenschaften, die die KlientIn von den jeweiligen Elternteilen und Familienmitgliedern mitbekommen hat ("Wenn eine gute Fee an ihrer Wiege gestanden ist, was hat sie ihnen geschenkt?"). Wenn der KlientIn da nicht so viel einfällt, kann man ja mit Informationen ergänzen, die man im Laufe der Genogrammerstellung bekommen hat. Das ändert oft den Blick auf die mitunter schwierige Herkunftsfamilie im Sinne von Milton Erickson: "Man kann nie früh genug eine gute Kindheit gehabt haben!"

Vorteile gegenüber einem reinen Gespräch:

- Das ganze System wird einfach sichtbar

- Ordnung kommt ins System

- Es ist anschaulich

- Zusammenhänge können leicht hergestellt werden

- Personen, die Ressourcen darstellen, können identifiziert werden

- Man bekommt viele Informationen, die im Laufe der Therapie hilfreich sein können!


Im Anschluss an das Genogramm kann man dann eine Brettaufstellungen machen. Dabei ist wichtig, dass Klient/in und Therapeut/in miteinander die Personen auswählen, die für die Brettaufstellungen in Hinblick auf das vereinbarte Ziel und die entsprechenden Fragestellungen in Frage kommen. Oft können während der Brettaufstellungen noch Personen dazu kommen, die vorher nicht so wichtig erschienen. Für die Auswahl der aufzustellenden Personen fertige ich nochmals ein kleines, übersichtliches Genogramm an.

Wenn man nach dem Genogramm eine Brettaufstellung machen will, sollte das in einer weiteren Sitzung erfolgen, damit sich die KlientInnen von dem Bild am Flipchart lösen können. Es könnte ansonsten passieren, dass die Brettaufstellung dem Genogramm sehr ähnlich werden. Ich mache die KlientInnen auf dieses Problem aufmerksam und stimme sie darauf ein, dass es jetzt darum geht, wie die einzelnen Personen miteinander in Beziehung stehen.